Vorbild-Dokumentation – North American B-25 Mitchell

Die B-25 Russell’s Raiders, die den Mittelpunkt der hier vorliegenden Vorbilddokumentation bildet, gehört zu den imposantesten Warbirds in Europa und wurde bis 2008 von dem Schweizer Verein Jet Alpine Fighter (JAF) betrieben. Stationiert war sie zuletzt in Hildesheim bei Hannover, wo die JAF einen idealen Standort zur Teilnahme an Airshows in ganz Europa gefunden hatte. Dann ist Russell’s Raiders leider wieder aus Deutschland verschwunden. Grund genug für uns, den bewegten Lebenslauf dieses unverwüstlichen Veteranen einmal genauer zu betrachten. Gebaut wurde die heutige Russell’s Raiders bereits im letzten Kriegsjahr 1945 und zwar als Version B-25J. Sie gehörte da­­mit zur letzten und zugleich meistgebauten Version der erfolgreichen B-25-Serie, von der insgesamt fast 10.000 Exemplare gebaut wurden. Den offiziellen Beinamen Mitchell hat der zweimotorige Bomber übrigens damals zur Erinnerung an General Billy Mitchell erhalten, der in den USA als Vater der Luftwaffe gilt. Die eigentliche Entwicklungsgeschichte der B-25 geht bis ins Jahr 1937 zurück. Damals suchte das US Army Air Corps (die US Air Force gab es damals noch nicht) nach leistungsfähigeren Alternativen zu ihren damaligen einmotorigen Angriffsbombern. Hierzu hatte das Air Corps folgende Eckdaten definiert: 550 Kilogramm Zuladung, mindestens 320 Stundenkilometer (km/h) Marschgeschwindigkeit und eine Reichweite von wenigstens 2.000 Kilometer. Beinahe ein Flop North American nahm mit seinem Entwurf NA-40 an der Ausschreibung teil, für den eine fünfköpfige Besatzung vorgesehen war. Pilot und Copilot saßen in der NA-40 unter einer langen Glashaube hintereinander, wodurch der Rumpf sehr schmal gestaltet werden konnte. Der Platz des Bombenschützen befand sich in einem verglasten Bug, während der Bordschütze und der Funker im hinteren Teil des Rumpfs untergebracht wurden. Als Antrieb dienten zwei Pratt & Whitney R-1830 Sternmotoren, die jeweils mit einem elektrisch verstellbaren Dreiblattpropeller mit einem Durchmesser von 3,66 Meter (m) ausgestattet wurden. Zudem waren ein Doppelleitwerk und ein einziehbares Bugradfahrwerk vorhanden. In dieser Konfiguration startete die NA-40 am 29. Januar 1938 zu ihrem Erstflug. Leider stellte sich schnell heraus, dass die NA-40 hoffnungslos untermotorisiert war und die verwendeten Triebwerke schnell überhitzten. Im Februar 1939 wurden daher die stärkeren Wright R-2600 Doppelsternmotoren installiert. Die Höchstgeschwindigkeit stieg nun von bisher 430 km/h auf rund 460 km/h in 1.500 m Höhe und der modifizierte Prototyp wurde in NA-40B umbenannt. Im März 1939 begann die offizielle Erprobung der NA-40B durch das US Army Air Corps auf dem Wright Airfield in Ohio. Nach einer anfangs sehr erfolgreich verlaufenden Versuchsreihe verlor der Testpilot beim Abstellen eines Triebwerks im Flug die Kontrolle über den Prototypen und stürzte ab. Das Wrack brannte aus und wurde dabei ­völlig zerstört, während die Besatzung wie durch ein Wunder überlebte. Obwohl ein grundsätzlicher Konstruktionsfehler als Ursache für den Absturz ausgeschlossen werden konnte, gab das US Army Air Corps dennoch dem konkurrierenden Model 7B von Douglas den Vorzug und bestellte davon im Juli 1939 123 Exemplare, die als A-20 Havoc bezeichnet wurden. Mit dieser Entscheidung wäre das Schicksal der NA-40 beinahe besiegelt gewesen. Endlich der Durchbruch Aber die Ingenieure bei North American gaben nicht auf und begannen eine neue NA-40 Version mit zwei nebeneinander angeordneten Pilotensitzen und einem Flügel mit ne­­gativer V-Form zu entwickeln. Das Ergebnis war die NA-62, die im September 1939 mit zwei 1.700 Pferdestärken (PS) starken Wright Cyclone Motoren zu ihrem Erstflug startete. Von dieser neuen Version waren die Verantwortlichen des US Army Air Corps so begeistert, dass bereits vor dem Erstflug – quasi vom Reißbrett weg – 184 Exemplare bestellt wurden und die militärische Bezeichnung B-25 erhielten. Die Produktion der ersten B-25-Serie lief dann im August 1940 an. Aus dem Basismodell B-25A entstanden in den darauffolgenden fünf Jahren die Nachfolgeversionen B, C, D, G und H, sowie die eingangs erwähnte J, zu der auch unsere hier vorgestellte Russell’s Raiders gehört. Ein gemeinsames Merkmal aller B-25-Versionen ist ihr „Möwenflügel“ mit unterschiedlichen Winkeln zwischen Rumpf und Motorgondel, beziehungsweise Motorgondel und Tragflächenspitze. Diese Flügelform war notwendig, um bei der B-25 dem so genannten Dutch Roll-Effekt – einer periodisch auftretenden Gier/Roll-Bewegung um Längs- und Hochachse – entgegen zu wirken. Um bei niedrigen Geschwindigkeiten mehr Auftrieb zu erzeugen, waren zudem die Randbögen etwas nach oben gezogen, wodurch relativ kurze Start- und Landestrecken möglich wurden. Ebenfalls charakteristisch für alle B-25-Versionen ist das H-förmige Doppelleitwerk, das auch nach Ausfall eines Triebwerks noch für gute Flugstabilität und Steuerbarkeit sorgt. Die Ruderflächen des Leitwerks sind mit Stoff bespannt, während die kleinen Trimmflächen an den Rudern aus Aluminiumblech bestehen. Kraftvoll Als Antrieb dienen bei allen Mitchell-Bombern zwei Wright R-2600 Doppelsternmotoren mit jeweils rund 43 Liter Hubraum, die vom Hersteller ständig weiterentwickelt wurden und zuletzt bis zu 1.725 PS leisteten. Der Ver­­brauch dieser beiden großen Kolbenmotoren beträgt ­zwischen 400 und 500 Liter Kraftstoff pro Stunde. Daher sind in den Tragflächen großvolumige Tanks untergebracht, die insgesamt rund 3.600 Liter Flugbenzin fassen. Zusätzlich sind in den Tragflächen auch die Ölkühler für die beiden Triebwerke installiert. Die erste Version B-25A war mit insgesamt vier Maschinen­­gewehren zur Verteidigung gegen feindliche Jäger ausgestattet. Eines davon war starr im verglasten Bug montiert, während zwei weitere beweglich an den Kabinenfenstern aufgehängt waren. Das vierte Geschütz war am Heck montiert und starr nach hinten gerichtet. Die B-25B war dann die erste Version mit drehbaren Ge­­­schütztürmen, wie sie auch bei anderen alliierten Bombern verwendet wurden. Einer davon war oben auf dem hinteren Teil des Rumpfs platziert, während ein zweiter einziehbarer Turm unter dem Rumpf hing. Beide Geschützstände waren mit je zwei 12,7-Millimeter-Maschinengewehren ausgestattet. Dafür entfielen bei der B-25B die seitlich an den Fenstern montierten Maschinengewehre, sowie das einzelne MG im Heck. Massenprodukt Die ab 1941 produzierte B-25C war mit 1.619 Exemplaren die erste Großserienversion des Mitchell Bombers. Äußerlich sah sie der Vorgängerversion sehr ähnlich, war aber mit verbesserten Vergasern und Kabinenheizung, sowie mit zusätzlichen Bombenaufhängungen unter den Tragflächen ausgerüstet. Später erhielt sie noch ein zweites, beweglich montiertes Maschinengewehr im Bug, das vom Bombenschützen abgefeuert werden konnte. Ein weiteres äußeres Merkmal der B-25C waren ihre neuen Auspuffanlagen mit wirkungsvolleren Flammdämpfern. Frühere Versionen hatten bei Nachteinsätzen den Nachteil, dass aus den beiden Abgasrohren an den Außenseiten der Triebwerksgondeln hell leuchtende Flammen herausschossen, die die Maschinen weithin sichtbar machten. North American entwickelte daher ein ganz neues Auspuffsystem. Dieses bestand aus je 14 einzelnen S-förmigen Abgasrohren – so genannten Clayton Stacks – die direkt an den ein­­zelnen Zylindern montiert wurden und ringsum aus den Triebs­­werksverkleidungen heraus ragten. Zur Reduzierung des Luftwiderstands wurden zusätzlich kleine Blechver­klei­dungen montiert. Die Clayton Stacks unterdrückten die Flammenbildung zwar wirkungsvoll, reduzierten aufgrund ihres Luftwiderstands aber auch die Höchstgeschwindigkeit und waren bei den Besatzungen nicht sehr beliebt, da der Lärmpegel im Cockpit gegenüber dem alten System deutlich höher war. Dennoch wurden alle nachfolgenden Versionen bis 1945 mit den Clayton Stacks ausgestattet. Die Version B-25D wurde lediglich in einem anderen Werk als die B-25C gebaut, war aber ansonsten mit dieser identisch. Beide Versionen wurden erstmals auch von der Royal Airforce und der damals noch verbündeten sowjetischen Luftwaffe in Europa eingesetzt. Feuertaufe im Pazifik Ihre größten Erfolge erzielte die Mitchell im Pazifik, wo sie bereits Ende 1941 als erstes amerikanisches Flugzeug ein japanisches U-Boot versenkte. Ab 1942 wurde unter der Bezeichnung B-25G eine spezielle Version zur Bekämpfung von Seezielen gebaut, deren primäre Bewaffnung nicht mehr aus Bomben, sondern aus schweren 75-Millimeter-Kanonen im Bug bestand. Hierdurch entfielen der Platz des Bombenschützen und die markante Bugverglasung der anderen Mitchell-Versionen. Da aus Gewichts- und Kostengründen auf eine Lade­auto­matik für die Kanone verzichtet wurde, musste der dahinter im Rumpf sitzende Navigator die 15 Pfund schweren Gra­­naten von Hand nachladen. Neben der Kanone waren im Bug zwei starre 12,7-Millimeter-Maschinen­gewehre montiert. Als Zieleinrichtung für alle drei nach vorne gerichteten Waffen diente ein kombiniertes Geschütz-Bomben-Zielgerät über dem Instrumentenbrett, das auch für Bombenwürfe aus geringen Höhen geeignet war. Beim Nachfolgemodell B-25H wurde eine etwas kompaktere und leichtere 75-Millimeter-Kanone verwendet und aus Gewichtsgründen auf einen Copilotenplatz im Cockpit ­verzichtet. Dafür waren im Bug und an den Rumpfseiten insgesamt acht starre, nach vorne gerichtete 12,7-Millimeter-Maschinengewehre montiert. Die Version H war auch die erste Mitchell mit seitlichen Geschützständen und dem typischen, tropfenförmigen Heckgeschützstand in der Mitte des Doppelleitwerks. Aus Schwerpunktgründen war der obere Geschützturm nun nicht mehr im hinteren Bereich, sondern direkt hinter dem Cockpit installiert und erhielt zudem eine verstärkte und größere Glaskuppel. Auf den einziehbaren unteren Geschützturm, mit dem die bisherigen Versionen ausgestattet waren, wurde künftig verzichtet. Back to the Roots Die letzte Version B-25J wurde wieder für ihre ursprüngliche Aufgabe als mittlerer Bomber konzipiert und erhielt daher wieder die typische Bugverglasung der D-Version. Auch ein zweiter Sitz für einen Copiloten wurde wieder im Cockpit installiert. Die Besatzung bestand nun aus insgesamt sechs Mann: Pilot, Copilot, Navigator/Bombenschütze und Funker, sowie Turm- und Heckschütze. Ein interessantes Detail der B-25J sind zwei keilförmige Geschossabweiser hinter dem oberen Geschützturm, die verhindern sollten, dass der Turmschütze im „Eifer des Gefechts“ versehentlich in die gläserne Kanzel des Heckschützen feuerte. Ursprünglich war auch die B-25J mit den bereits erwähnten 14 Clayton-Auspuffrohren pro Triebwerk ausgestattet, doch nach Ende des Kriegs wurden die wenigen Exemplare, die weiterhin als Trainer Verwendung fanden, wieder auf die alten Auspuffsysteme mit den Ringsammlern rückgerüstet. Lediglich die unteren Zylinder behielten ihre Einzelrohre. So auch die heutige Russell’s Raiders, die nach dem Umbau als TB-35N bezeichnet wurde und hinter dem Cockpit zwei zusätzlich Sitze erhielt. Hin und her Zudem wurden ihre flachen und aerodynamisch günstiger wirkenden Vergaserlufteinlässe über den Triebwerksgondeln durch kastenförmige Einlässe mit rechteckigem Querschnitt ersetzt, da diese weniger zu Vereisung neigen. Fast alle heute noch fliegenden B-25 unterscheiden sich in diesen äußeren Merkmalen von der ursprünglichen B-25J. Bei Russell’s Raiders wurde später auch die komplette Bewaffnung ausgebaut. Dabei wurden auch gleich die beiden Geschoss­abweiser hinter dem oberen Turm entfernt, die bis heute fehlen, während die ursprüngliche Bewaffnung inzwischen durch Attrappen ersetzt ist. 1958 stellte man Russell’s Raiders dann endgültig aus dem aktiven Dienst der inzwischen neuaufgestellten US Airforce und stellte sie in der Wüste von Arizona ab. Dort wurde sie noch im selben Jahr von einem Agrarflug-Unternehmen gekauft, worauf sie erstmals eine Zivilzulassung erhielt. Im September 1959 wechselte die Maschine dann erneut den Besitzer und wurde an die Firma Dallas Aero Service aus Texas verkauft, wo sie als fliegende Testplattform für Texas Instruments diente. Doch schon ein Jahr später ­wechselte Russell’s Raiders erneut ihren Besitzer und in den nachfolgenden 20 Jahren sollten noch sieben weitere folgen. 1982 wurde sie schließlich von Harry S. Doan in Florida restauriert und teilweise in ihren Ursprungszustand zurückversetzt, wobei sie auch ihre derzeitige Lackierung erhielt. Nach zwei weiteren Besitzerwechseln wurde Russell’s Raiders dann 1991 von einem Sammler aus Frankreich gekauft und auf dem Luftweg nach Europa überführt. Nach zahlreichen Teilnahmen an Airshows in ganz Europa erfolgte dann endlich eine Totalrestauration, wobei die Maschine unter anderem eine komplett neue Flug­steuer­anlage erhielt und ihre Flügel überholt und konserviert ­wurden. Nach einem längeren Stillstand gab es noch einmal eine gründliche Wartung, gefolgt von einer Übernahme durch die Schweizer JAF. Stationierung erfolgte erst in Sion, ab Dezember 2007 stand Russell’s Raiders dann in Hildesheim, von wo aus sogar Rundflüge mit der B-25 angeboten wurden. Vermutlich brachte diese Aktion dem JAF aber nicht den gewünschten Erfolg, denn Ende 2008 wurde Russell‘s Raiders dann an die Amicale Jean-Baptiste Salis in LaFerte, Frankreich, verkauft, die bereits eine große Sammlung fliegender Warbirds betreibt – unter anderem auch die in FlugModell 01/2011 vorgestellte P-51 Mustang. Dort wurde die B-25 erneut gründlich überholt und hat dabei sogar zwei neue Triebwerke ­erhalten – beste Voraussetzungen also für ein langes Flugzeugleben.