Vorbild-Dokumentation Scheibe Zugvogel I bis IV

Vorbild-Dokumentation Scheibe Zugvogel I bis IV

Alle Zugvogel-Typen hatten Stahlrohrrümpfe, mit denen Egon Scheibe ja schon vor dem Zweiten Weltkrieg sehr gute Erfahrungen machte. Erinnert sei hier nur an seine Konstruktionen bei der Akaflieg München: dem Doppelsitzer Mü 13 Milan, die Mü 13 Merlin sowie die Atalante. Aus letzteren beiden Einzelstücken entstand später die in Großserie gefertigte Mü 13 d. Im letzten Rhön-Wettbewerb 1939 waren immerhin 15 Maschinen dieses Typs vertreten.

Anfang der 1930er-Jahre wirkte er auch maßgeblich an dem dreisitzigen Forschungs-Segelflugzeug OBS-Urubu mit. Diese Maschine mit 29 Meter (m) Spannweite war in ihren Ausmaßen schon fast einem Lastensegler ähnlich. Egon Scheibe war bei diesem Flugzeug für die Stahlrohr-Rumpf und Leitwerkskonstruktion verantwortlich.

Als im Juni 1951 der Segelflug in Deutschland wieder zugelassen war, konnte auch Scheibe eine neue Konstruk­tion vorstellen, den Doppelsitzer Mü 13 E-Bergfalke. Diese Maschine wurde noch in Österreich hergestellt, da in Deutschland der Flugzeugbau ja noch verboten war; so erschien sie dann als Prototyp auf der Wasserkuppe noch mit österreichischem Kennzeichen. Natürlich hatte auch der Bergfalke wieder einen Stahlrohrrumpf. Bis in die 1970er-Jahre hinein wurden von den diversen Bergfalken-Aus­führungen etwa 700 Exemplare hergestellt und zählen heute noch – besonders im süddeutschen Raum – zu beliebten Schulflugzeugen.

Es kann davon ausgegangen werden, dass Scheibe seinen Zugvogel-Konstrukteur Rudolf Kaiser anwies, die Ma­­schine mit dem Stahlrohrrumpf zu versehen. Mög­lich, dass er die einzelnen Rümpfe sogar selbst berechnete. Eindeutig ist jedoch Kaisers Handschrift bei den Tragflächen, dies lässt sich beim Vergleich mit seinen Flugzeugkonstruktionen für Alexander Schleicher-Flugzeugbau sehr gut erkennen.

Die starke Flügelvorpfeilung beim Zugvogel I von immerhin -5 Grad stimmt für einen Einsitzer etwas nachdenklich, war da zuerst ein Leistungsdoppelsitzer geplant; oder sollte später einer daraus entwickelt werden? Leider fehlen Zeitzeugen, die dieses bestätigen könnten.

Rumpfkluft
Der grundlegende Aufbau der Stahlrohrrümpfe der Typen Zugvogel I bis IV war identisch. Die Leitwerksträger hatten bis zum Kabinenbereich einen dreieckigen Quer­schnitt. Durch Formleisten entstand dann nach der Stoff­be­spannung ein sechseckiger Querschnitt, der schon sehr nahe an eine elliptische Form kam.

Die Rumpfvorderteile wurden aus aerodynamischen Gründen mit Sperrholz-oder GFK-Schalen verkleidet. Die Version III A war die erste mit einer GFK-Rumpfbugschale. Die Rumpfkontur aller Zugvögel war fast identisch, allerdings mit zwei Ausnahmen: die Version I hatte einen längeren Rumpfbug und der Zugvogel III B hatte einen flachen Rumpf mit einer schön eingestrakten Kabinenhaube. Da wirkten sicherlich die Einflüsse der modernen Maschi­nen mit, die bei der Weltmeisterschaft im Jahre 1960 in Köln antraten. Elegante Maschinen wie die polnische Zefir und Foka sowie das erste Segelflugzeug in GFK-Bauweise, die deutsche Konstruktion FS 24 Phönix, waren nun in der Formgebung die wegweisenden Konstruktionen.

Die Kabinenhauben waren alle unverstrebt und geblasen, sie waren nicht durch Scharniere aufklappbar, sondern als Steckhauben ausgelegt – mussten also zum Ein-und Ausstieg vollkommen abgenommen werden. Durch die relativ hohe Vorderkante der nicht eingestrakten Hauben war die Sicht nach vorn leicht eingeschränkt, aber im Gro­ßen und Ganzen sehr ordentlich. Bis auf die Aus­führung mit dem flachen Rumpf musste man schon etwas gelenkig sein, um in das Cockpit zu gelangen. Saß man aber erst einmal drin, fühlte man sich sehr wohl. In der Maschine mit eingestrakter Haube war die Sitzposition fast liegend.

Tragflächen
Scheibe, der viele seiner Konstruktionen lange Zeit – auch noch nach der Zugvogelzeit – mit dem von ihm entworfenen Mü-Profil ausrüstete, gab seinem Konstrukteur Rudolf Kaiser beim Zugvogel freie Hand und dieser verwendete erstmals an einem Scheibe-Flugzeug ein Laminarprofil aus der 63er-NACA-Reihe.

Das Profil war an der Flügelwurzel 16 Prozent dick, im Querruderbereich 14 Prozent. Um bessere Langsamflug­eigenschaften zu erreichen wurde die größte Dicke des Profiltropfens im Querruderbereich auf 30 Prozent der Flügeltiefe vorverlegt. Der als I-Holm konstruierte Haupt­holm wurde in Schichtbauweise hergestellt. Beim Zug­vogel wurde Buchenschichtholz in sieben Lagen mit Tegofilm verleimt – TBU 7. Diese Furnierschichten bezogen sich auf pro Zentimeter Holzstärke. Das Buchenholz ist in seiner Festigkeit dem Kiefernholz zwar deutlich überlegen, jedoch auch erheblich schwerer. Um die Dimensionen des Haupt­holms besser zu ermessen können, hier zum Vergleich die Holmbe­zeichnung des doppelsitzigen Berg­falken: TBU 20, also 20 Holz­schich­ten pro Zentimeter Holmstärke.

Da das Laminarprofil eine erheblich längere Laufstrecke im Bereich der Flügeltiefe erreicht, war es unbedingt erforderlich, eine möglichst optimale formtreue Tragflächenober- und unterseite zu erreichen. Dies geschah indem man die Tragfläche bis weit hinter den Haupt­holm be­plankte, bis zirka 50 Prozent hinter der Nasenleiste. Ab dem Querruderbereich war die ganze Flächentiefe beplankt, natürlich einschließlich des Querruders. Als Beplankungs­material diente Birkensperrholz. Zusammen mit dem Hauptholm bildete sich so eine sehr drehsteife Torsionsnase. Bei 125 Kilogramm (kg) Zuladung erreichte der zweiteilige Tragflügel eine beachtliche Bruchlastsicherheit. Vor und hinter dem Hauptholm wurden die formgebenden Rippen angeleimt, vor dem Hauptholm zum Zweck der Formtreue mit jeweils einer Zwischen­rippe. Alle Holzteile außer dem Holm wurden mit dem britischen Kunstharzleim Aerodux 185 verklebt.

Zur Gleitwinkelsteuerung dienen Landeklappen nach dem System Schempp-Hirth, welche je­doch nur auf der Tragflächenoberseite angeordnet waren. Nach dem sauberen Verputzen beziehungsweise Verschleifen der Tragflächen wurden diese auch mit Stoff bespannt.

Scheibe war immer darauf bedacht, dass seine Konstruktionen von den Segelflugvereinen im Baukastenverfahren selbst hergestellt werden konnten, dies war beim Zugvogel nicht mehr möglich. Man wollte und konnte es Privat­per­sonen nicht zumuten, die 4 Millimeter (mm) starke Sperrholz­beplankung aufzuziehen. Bis auf ein paar Restar­beiten und das Endfinish war der Bau nur von Scheibe oder lizenzierten luftfahrttechnischen Betrieben zugelassen. Dagegen konnte eine Schleicher Ka 6 bis auf den Holm und diverse Beschläge im Bausatz von Privatpersonen und Vereinen aufgebaut werden.

Nach sieben Exemplaren wurde die Produktion des Zugvogel I eingestellt, es folgte der Zugvogel II, jetzt ohne die Tragflächenvorpfeilung und mit einem Holm in Kastenausführung. Die 16 m Spannweite wurde beibehalten. Nach Einführung der offenen Klasse flog dann im Frühjahr 1957 erstmals der Zugvogel III mit 17 m Spann­nweite, die Spannweitenvergrößerung erfolgte einfach durch Verlängerung der Außenstücke.

Die Tragfläche des Zugvogel III B war identisch wie beim Vorläufer, der Unterschied bestand – wie schon erwähnt – im flachen Rumpf mit der eingestrakten Kabine. Nach Einführung der Standardklasse 1957 mit 15 m Spannweite wurde die Länge der Tragflächen wieder reduziert, es entstand der Zugvogel IV. Die Querruder reichten nun bis an das Flügelende, ansonsten blieb beim Tragflächenaufbau alles identisch. Als Rumpf kam ein minimal modifizierter IIIer zum Einsatz.

Abheben
Bei allen Zugvogel-Varianten kommen herkömmliche Kreuzleitwerke in Rippen-Holmbauweise mit beplankten, drehsteifen Flossen und Rudern mit Stoffbespannung zum Einsatz. Sie haben eine symmetrische Profilierung und einen erstaunlich großen Einstellwinkel von 3 Grad. Die Höhenflossen sind etwas erhöht über dem oberen Rumpfgurt gelagert.

Die Betätigung der Querruder, Höhenruder und Schempp-Hirth-Bremsklappen erfolgt über Stoßstangen. Das Seitenruder wird bei allen Versionen wie üblich durch Stahlseile angelenkt, die Seitenruderpedale sind je nach Körpergröße des Piloten verstellbar. Außerdem sind alle Zugvögel mit einer Schwerpunktkupplung für den Win­den­start sowie einer Bugkupplung für den Flugzeug-Schlepp ausgerüstet.

Bis zur Ausführung Zugvogel III A hatten alle Maschinen eine Eschenholzkufe. Dies ist billiger in der Herstellung, bewährt sich bei Außenlandungen besser und ist vielleicht auch minimal aerodynamisch günstiger. Nachteil: Für den Bodentransport ist ein abnehmbares Kufenradgestell kein Vorteil, wie auch für den Start. Alle späteren Maschinen konnten optional mit oder ohne Rad geordert werden. Frühere Maschinen wurden später teilweise auch auf eine feste, ungefederte aber bremsbare Bereifung umgerüstet. Bei den Sporns kamen Stahlfedern oder kleine Sporn­räd­chen zum Einsatz. Auch hier kann keine allgemein gültige Aussage getroffen werden, da vieles ab Werk auf Wunsch geordert werden konnte oder nachgerüstet wurde.

Heinkel-Scheibe Zugvogel III S
Der bekannte deutsche Leistungsflieger Rolf Spänig erflog sich mit dem Zugvogel mehrere nationale Meisterschaften, für die Weltmeisterschaft 1963 in Argentinien wollte er mit einem besonderen Einzelstück antreten, einer Maschi­ne mit Zugvogel III Tragfläche und Leitwerke, dazu einen auf seine Körpergröße abgestimmten formschönen Rumpf. Der Rumpf stammte von Otto Funk, welcher damals bei der noch existenten Firma Heinkel arbeitete und einige interessante Hochleistungssegler mit Rümpfen aus einem verkleideten Stahlrohrvorderteil mit angenieteter konischer Aluminium-Röhre entwickelte und baute. Die Grundidee der späteren Funk-Segler stammte übrigens von Gert Basten, der den Kunstflugsegler B 4 entwarf, welcher bei Pilatus (CH) als Pilatus B-4 PC-11 in Serie gefertigt wurde. Egon Scheibe erklärte sich am 13. Oktober 1961 schriftlich bereit, dass seine Tragfläche und Leitwerke des Zugvogels verwendet werden durften und war auch mit der Bezeichnung Zugvogel III S einverstanden.

Im Oktober 1962 konnten dann auf dem damaligen Werksflugplatz von Heinkel in Speyer die ersten Probe­flüge der eleganten Heinkel-Scheibe Zugvogel III S aufgenommen werden. Mit den Flugeigenschaften war man sehr zufrieden. Leider wurden nie exakte Vermessungs­flüge durchgeführt um objektiv zu beweisen, wie sich der neue, vollkommen auf Spänigs Körpergröße angepasste Rumpf in Verbindung mit dem Trag- und Leitwerk des 17-Meter-Zugvogels leistungssteigernd auswirken würde.

Die Rumpfkeule hatte eine maximale Höhe von 7.500 mm und eine Breite von 5.000 mm. Die Maschine entstand in der Lehrwerkstatt von Heinkel unter sehr großen Freizeit­opfern der Beteiligten. Das Rumpfvorderteil mit seiner in der Seitenansicht keulenartigen Linienführung wurde aus Stahlrohren aufgebaut und mit einer Verklei­dung aus GFK versehen. Der Leitwerksträger bestand aus einer konischen Duralröhre mit kreisrunden Quer­schnitten. Diese Rumpf­röhren verwendeten später viele Akademische Flieger­gruppen zum Bau ihrer Hochleistungs­einzelstücke ( fs-25, fs-28, fs-29 und auch das Braunschweiger Superschiff SB-10). Auf der Leitwerks­röhre war ein langer Kiel aus Balsaholz aufgesetzt, darauf lagerte das Höhenleitwerk.

Die sauber eingestrakte Kabinenhaube hatte keine Verstrebung und reichte von der Flügelwurzel bis fast zur Rumpfspitze. Als Fahrwerk kam ein großes Einzieh­fahrwerk zum Einsatz, das im ausgefahrenen Zustand noch halb verkleidet war, um Verschmutzungen an der Rumpfunterseite und im Fahrwerksschacht zu unterbinden. Das bremsbare Rad wurde nach hinten eingezogen, als Hecksporn diente eine verkleidete Blattfeder.

Der geringe, bewusst gewollte kleine Rumpfquerschnitt bereitete den Konstrukteuren einiges an Kopfzerbrechen. Bei der Planung der Steuerung musste manches Problem umschifft werden. Damit der Pilot überhaupt die Mög­lichkeit hatte vollen Querruderausschlag zu geben, muss­te der Drehpunkt des Steuerknüppels in Richtung Quer­ruder­aussschläge höher gelegt werden als der Drehpunkt für die Höhenruderbedienung.

Die Stahlseilzüge für den Seitenruderantrieb wurden in den Gurtrohren des Stahlrohrgerüsts verlegt. Bemer­kens­wert für die damalige Zeit ist auch die Gestaltung des Instrumentenbretts. Um die Sicht noch mehr zu verbessern, wurde der Wendehorizont, der ja nur im Blindflug gebraucht wurde, während des Normalflugs nach vorne weggeklappt.

Nach den ersten Flügen musste auf Anordnung der Prüf­stelle für Luftfahrtgerät, dem heutigen Luftfahrt Bundes­amt (LBA) folgendes geändert werden: Der Steuerknüppel wurde um 40 mm verlängert und mit einem Knopf versehen, beim Bremsklappenhebel galt es, zusätzliche 30 mm zu berücksichtigen. Die Fallschirmwanne musste etwas tiefer gelegt werden, sodass durch die veränderte Körper­lage jetzt mehr Bewegungsfreiheit für den Flugzeug­führerkopf vorhanden war. Die Kopfstütze wurde so ausgebildet, dass sie während des Flugs verstellbar war. Alle Querruderschlitze galt es abzudichten

Neben den behördlichen Auflagen gab es zudem eine Reihe von Details, die Spänig noch berücksichtigen wollte, sodass diese elegante und exakt auf seine Körpergröße ausgerichtete Maschine nicht mehr rechtzeitig für die Weltmeisterschaft 1963 in Argentinien fertiggestellt werden konnte. So trat der Pilot mit einem herkömmlichen Zugvogel III B an.

Im Jahre 2007 waren in Deutschland von 114 hergestellten Zugvögeln der diversen Baureihen noch folgende Ver­sionen im Flugbetrieb: 1 × Zugvogel I, 1 × Zugvogel II, 1 × Zugvogel III, 9 × Zugvogel III A, 7 × Zugvogel III B, 2 × Zugvogel IV A. Dazu kommen noch einige im Ausland, über die aber keine exakten Angaben vorliegen.

Besonders die Geschichte zur HS-203 von Rolf Spänig hätte so nicht dokumentiert werden können ohne die tatkräftige Mithilfe des Luftfahrtjournalisten Jochen „Cassius“ Ewald, welcher 2010 völlig unerwartet und viel zu früh im Alter von 55 Jahren verstarb. Für die Überlassung von diversem Fotomaterial danke ich Chris Williams aus England und Beat Galliker von der „IG Albatros“ (Schweiz)